Es ist vielleicht nicht unsinnig, wenn ich am Anfang schlicht und ergreifend den Sinn einer solchen Vorlesung aus meiner Sicht erläutere.
In der Grundvorlesung, so man mit der Geschichte anfängt, lernt man sozusagen vom Berg Sinai ab, wie es ist.
Man lernt die Strukturen, die Abläufe, die Ereignisse und der Dozent sagt im Prinzip so ist es und nicht anders und lernst gefällig.
In dieser Vorlesung versuche ich einen Schritt weiterzugehen, nämlich, dass vieles in der Literatur umstritten ist.
Es gibt unterschiedliche Meinungen und zweitens die Studenten sollen durch die Teilnahme an dieser Vorlesung und so Gott will auch das Schreiben der Klausur lernen,
diese grundsätzlichen unterschiedlichen Positionen in der Literatur wiederzugeben.
Und insbesondere dadurch, dass man Handbuch und vielleicht ein, zwei Aufsätze, die sich nicht ganz grün sind, liest und darüber nachdenkt, wer hat Recht,
ein bisschen an der Dynamik der Wissenschaft, zumindest passiv teilnehmen, denn die Wissenschaft entwickelt sich fort, gelangt zu neuen Kenntnissen,
in dem erst einmal irgendjemand eine These aufstellt, sagt so und so ist es und das sind meine Gründe.
Insbesondere Handbuchautoren haben dieses traurige Schicksal, dass sie vielfach die ersten sind, die überhaupt gewahr geworden sind, dass es hier ein Problem gibt
und die stricken eine Antwort zusammen und die Folge ist, dass alle Kollegen aufschreien und sagen so kann das nicht sein, hier sind es andere Quellen etc. etc.
Also es gibt einen Forschungsstreit mit Gegenposition und so weiter und so fort, irgendwann mal so Gott will, führt diese ganze Streit zu einem Konsens,
zu einer Lehrmeinung und das kommt wieder mal in das nächste Handbuch, das erzeugt wieder mal Streit und so weiter und so fort und wir haben einfach ganze Zyklen von These,
Forschungsstreit, Konsens, Niederschrift in einem Handbuch.
Und die Frage ist, ist das nur Streitsüchtigkeit der Gelehrten? Die hören sich gern reden, ich bin auch ein guter Vertreter dieser Spezies und die Frage ist, ist das einfach sinnloses Gezenk?
Ich bin der Ansicht, dass in den meisten Fällen jeder Zyklus zu einem Erkenntnisgewinn führt, denn grundsätzlich das, was man im Handbuch liest und was man in den normalen Vorlesungen hört,
ist nichts anderes als die bislang beste vorgelegte Erklärung für die Quellen. Das ist der ganze Sinn der Sache, sozusagen narrativ möglichst viele Quellen widerspruchsfrei zu erklären
und möglichst wenige einschlägige Quellen draußen vorzulassen. Das heißt aber, wenn irgendjemand auf neue Quellen kommt oder aber zu den bekannten Quellen eine neue Erklärung ersinnt,
dann fängt sozusagen der ganze Zyklus an, das führt zu einem, einer neuen Erklärung für all diese Quellen und das führt wieder mal dazu, dass die Geschichte, so wie man sie lernt
und so wie sie im ZDF dargelegt wird, neu geschrieben werden muss. Und das passiert jedes Mal, wo irgendjemand neue Quellen entdeckt oder aber eine neue Interpretation in der Sinn.
Nun der Grund, weshalb wir meiner Ansicht nach einen Erkenntnisgewinn bei jedem Zyklus ist, dass der Ausgang des Streits nicht nur eine Frage der Machtstrukturen,
nicht nur blöder Zufall ist und so weiter und so fort, denn wenn ich meine These vorlege, obliegt es mir als ehrlichem Wissenschaftler, meine Gründe dafür zu nennen,
das heißt, mein Erkenntnisweg, wie ich vom Problem zur Lösung gekommen bin, zu skizzieren, bloßzulegen und für jede ernstzunehmende Behauptung eine nachprüfbare Quelle nenne.
Ob das im Archiv ist oder ob es irgendwo veröffentlicht, ist völlig egal. Das, dieses, diese Pflicht hat man in der Geschichtswissenschaft zu einem Tugend umstilisiert,
also von Pflichten hören wir sehr ungern, aber Tugenden streben wir alle natürlich selbstredend an. Diese Tugend ist die Transparenz. Im Grunde genommen heißt das nichts anderes als,
ich sage euch, wie ich schrittweise zu dieser Erkenntnis gekommen bin und nenne an jeder Stelle die Quellen, aus denen ich meine Weisheit gezogen habe.
Und das hat wiederum zufolge, dass jeder diesen Gedankengang ergebnisoffen nachvollziehen kann, der kann sich die Quellen angucken,
die Thesen anhand der Quellen überprüfen und dann sich entscheiden, ob er damit einverstanden ist oder nicht.
Das heißt, im Endeffekt jedes Mal, wo ich eine Behauptung, eine These vorlege, lade ich die Kollegen dazu ein, ob sie es machen oder nicht, ist egal,
aber ich lade die Kollegen dazu ein, meinen Erkenntnisweg zu überprüfen und ergebnisoffen zu fragen, stimmt denn das, bin ich damit einverstanden.
Das heißt, es ist eine Einladung zur Kritik. Wenn man die allerfrüheste Zeitschrift, die Vorgänger, vor Vorgängerzeitschrift des Deutschen Archivs anguckt,
gibt es in der ersten Nummer, irgendwann mal 1819, 1820, verschiedene Aufsätze und schon in der zweiten Nummer, zwei Monate später, gibt es die ersten Gegenstellungenamen.
Also die Kritik setzt sozusagen im Grunde genommen die Geschichte wird erstmal in die Krippe gelegt und kaum ist die erste Flasche abgelegt,
dann werden sozusagen der Zwillingsbruder die Kritik reingesetzt und dann zanken sie sich für immer und ewig seitdem.
Das Ganze ist nicht nur beliebig, weil wir alle zwei Sachen gemeinsam haben, die uns gewissermaßen zu intellektueller Ehrlichkeit immer wieder anhalten.
Das eine ist das Wissenschaftsprinzip, das habe ich Ihnen schon zitiert, für jede ernstzunehmende Behauptung muss man eine nachprüfbare Quelle nennen.
Das habe ich bei meinem alten Chef, eurem akademischen Großvater, in der schnottrigen Berliner Formulierung erlebt.
Er hat sehr sinnvollerweise gesagt, also Sie veröffentlichen keinen Aufsatz ohne, dass es über meinen Schreibtisch gelaufen ist.
Ich will mal gucken, ob Sie irgendetwas Dummes gemacht haben. Und dann habe ich natürlich Blut geschwitzt und mein Bestes getan und irgendwann mal meine 35 Seiten eingereicht
und drei Wochen später hat es geheißen, ja ich habe es gelesen, Sie können reinkommen.
Und Kurze hat damals geraucht und er hatte im alten Friedrich-Meinecke-Institut ein relativ großes Büro, wo ein absolut abscheulicher Sofa passte.
Das war eine von diesen 70er Jahrensofas. Grundton war braun, die Rückenlehnen waren Ayadottergelb und die Sitze waren Turkiser.
Aber so eine Art Metallik-Turkise. Setzte sich hin, schraubte sich eine Zigarette in den Mundwinkel, zündete das Ding an, nahm sein Koffeepot in der Hand und blätterte durch.
Und auf Seite, was weiß ich, 25, hat er gesagt, da sagen Sie das und das und das. Woher wollen Sie das wissen?
Und ich habe gesagt, na ja, ich habe mir gedacht, hier, Theorie, lalala. Nö, hat er gesagt, müssen Sie belegen.
Also die schnottrige Berliner Form des Wissenschaftlichkeitsprinzips ist, woher wollen Sie das wissen?
Also das ist bei allen akademisch ausgebildeten Historiker das Grundprinzip. Man muss belegen, man muss den Erkenntnisfähigen darlegen und wir haben die Methodik gemeinsam.
Also kann man die Auslegung einer Quelle anhand des konsensfähigen, methodischen Rüstzeugs überprüfen und das führt irgendwann mal zu einer Einigung, zu einer in den Augen aller korrekten Interpretation.
Diese Zyklen und die Methodik, finde ich, sollte man als Student kennengelernt haben.
Nun ist das hier eine Vorlesung über Wirtschaftsgeschichte und Wirtschaftsgeschichte ist etwas anders als das, was man normalerweise in Erlangen lernt,
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:24:34 Min
Aufnahmedatum
2009-10-23
Hochgeladen am
2018-12-17 11:46:04
Sprache
de-DE
- Aufgrund technischer Probleme bei der Aufnahme ist die Tonqualität leider schlecht - Due to technical problems during the recording, unfortunately the sound quality is poor -